„Beweg dich schon, du
störrisches Ding, los, komm schon, ich krieg dich … “ Die
Frau, die in dem großzügigen Garten gleich hinter dem
Stadtgraben arbeitete, sprach sich gutgelaunt Mut zu. Sie konnte nicht
älter als fünfundzwanzig sein, trug einen einfachen Kittel aus
ungefärbter Wolle wie die Bäuerinnen der Umgebung und hatte sich
die hellbraunen Haare mit einem Kopftuch aus der Stirn gebunden; kleine
Schweißperlchen liefen ihr die geröteten Wangen hinunter,
während sie mit ihrem schweren Spaten auf den Boden einstach und
versuchte, den knorrigen Wurzelstock eines Haselbusches zu zerkleinern,
weil er sich nicht im Ganzen heraushebeln ließ.
„Frau Christine!
Frau Christine!“ Mit einem zufriedenen Seufzer ließ die Frau
das Werkzeug los, richtete sich auf und streckte den Rücken.
„Frau Christine,
Ihr solltet das nicht allein machen! Das ist doch viel zu schwer für
Euch. Das ist Knechtsarbeit! Warum habt Ihr mich nicht gerufen?“ Ein
älterer Mann war herangekommen, mit wettergegerbtem Gesicht und
ledrigen Händen. Er überragte die junge Frau um Haupteslänge
und sah mit mildem Tadel auf sie herunter: Ein Blinder hätte erkennen
können, dass eine so zierliche Gestalt es nicht mit armdicken Wurzeln
aufnehmen konnte. Die Frau lächelte zurück und wirkte
plötzlich wie ein kleines Mädchen, mit schelmisch blitzenden
grauen Augen und Grübchen in den Wangen.
„Frau Christine,
wir haben Nachricht von Herrn Frick bekommen. Er ist heute morgen aus
Überlingen aufgebrochen und wird zur Vesperzeit hier sein.“ Ein
Schatten streifte Christines Gesicht und wischte das Lächeln fort. Sie
straffte die Schultern und nickte langsam.
„Es ist gut,
Lambert. Ich werde gleich nach Hause kommen.“ Der Knecht zeigte
zweifelnd auf den Spaten.
„Soll ich es mal versuchen?“
„Nein, lass nur.
Es ist nicht so wichtig. Sieh lieber zu, dass im Stall Ordnung herrscht,
wenn der Herr zurückkommt. Du weißt ja, dass er es nicht leiden
kann, wenn er schon am Tor über ein altes Zaumzeug stolpert.“
Der Knecht murmelte etwas vor sich hin und stiefelte zurück zur Stadt.
Christine wischte den Spaten sauber und verstaute ihn zusammen mit Schaufel
und Hacke in dem kleinen Schuppen, den sie hatte bauen lassen, dann wusch
sie sich die Hände im Regenfass und öffnete das kleine
Törchen. Eine Rose rankte sich daran hoch und duftete zart; Christine
konnte nicht widerstehen sich noch einmal darüber zu beugen und den Geruch
einzuatmen. Am liebsten hätte sie ein paar Blüten abgeschnitten
und mit nach Hause genommen, aber nach kurzem Zögern entschied sie
sich dagegen. Frick schätzte es nicht, wenn sie so viel Zeit in ihrem
Garten verbrachte, und es war sicherlich besser, ihn nicht noch besonders
darauf hinzuweisen. Gerade die Pflege der Blumen hielt er für eine
völlig unnütze Tätigkeit: Schmutzige Arbeit, um die eine
wohlhabende Kaufmannsfrau wie Christine Köpperlin einen Bogen machen
sollte. Schließlich konnte sie alles auf dem städtischen Markt
kaufen, was sie in Küche und Keller brauchte. Sorgfältig schloss
sie das Tor hinter sich; es gab keine Entschuldigung, noch länger hier
zu bleiben, und sie machte sich auf den Rückweg. Kurze Zeit später
stand sie vor dem Köpperlinschen Anwesen in der Marktgasse. Sie holte
tief Luft und betrat das Haus durch das Hoftor.
„Ich
bin wieder da“, rief sie den Mägden in der Küche zu. Sie
ließ sich einen Eimer Wasser in die Schlafstube bringen, wusch sich
Erde und Schweiß ab und zog sich um. Ihr Gatte schätzte es
nicht, wenn sie herumlief wie eine Bäuerin, das wusste sie. Sie
klappte ihre Truhe auf und wählte nach kurzer Überlegung ein
lindgrünes, bodenlanges Leinenkleid mit spitzem Ausschnitt und halben
Ärmeln, die bis zum Ellbogen eng anlagen und sich dann zu angedeuteten
Schleppen öffneten, dazu ein schlichtes Untergewand aus mehrfach
gebleichtem Leinen, dessen einziger Schmuck in der feinen Fältelung an
Handgelenken und Halsausschnitt bestand. Sie bürstete sich das Haar, flocht
es zu zwei dicken Zöpfen und steckte es über den Ohren hoch,
griff nach dem gekräuselten weißen Schleier und bedeckte es
damit, legte sich den gestickten Gürtel um, schlüpfte in die
schlichten Alltagsschuhe und betrachtete sich dann prüfend in dem
Spiegel, den ihre Eltern ihr zur Hochzeit geschenkt hatten. Eine ehrbare
Kaufmannsgattin schaute ihr entgegen, wohlhabend, aber nicht
verschwenderisch gekleidet, standesbewusst und sittsam. Die Frau, die Frick
Köpperlin gerne sehen wollte. Nur die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken
und die feinen Lachfältchen rund um die Augen wollten sich nicht so
recht einfügen. Sie nickte sich langsam zu und legte den Spiegel
zurück in die Truhe. Und dann blieb nicht viel mehr zu tun als auf die
Rückkehr des Hausherrn zu warten und den Brief noch einmal
vorzunehmen, den er ihr geschrieben hatte.
„ ... habe
ich mich nun entschlossen, Ludwig mit nach Ravensburg zu bringen und in
meinem Hause erziehen zu lassen. Ich wünsche, dass du ihn freundlich
willkommen heißt und ihm die gleiche Liebe und Achtung
entgegenbringst wie einem eigenen Sohn.“
Nein,
sie war nicht mehr ganz so fassungslos wie beim ersten Lesen, dachte
Christine und wischte sich mit der Hand über die Stirn. Bald zehn
Wochen hatte sie jetzt Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen.
Heute sollten sie in Ravensburg eintreffen, und bald würde die ganze
Stadt wissen, dass Frick Köpperlin, wohlhabender Kaufmann,
Mitglied der Humpisgesellschaft und der Gesellschaft zum Esel, seinen
Bastardsohn aus Brugg im Aargau mitgebracht hatte und in seinem Haus zum
Geschäftsnachfolger erziehen ließ, weil seine eigene Frau
ihm keine Kinder gebären konnte. Aber vielleicht war es ja genau das,
was sie verdient hatte.
©Isabell Pfeiffer
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