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Das Sündentuch

 

Willkommen auf der Homepage der Autorin Isabell Pfeiffer !

 

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„Beweg dich schon, du störrisches Ding, los, komm schon, ich krieg dich … “ Die Frau, die in dem großzügigen Garten gleich hinter dem Stadtgraben arbeitete, sprach sich gutgelaunt Mut zu. Sie konnte nicht älter als fünfundzwanzig sein, trug einen einfachen Kittel aus ungefärbter Wolle wie die Bäuerinnen der Umgebung und hatte sich die hellbraunen Haare mit einem Kopftuch aus der Stirn gebunden; kleine Schweißperlchen liefen ihr die geröteten Wangen hinunter, während sie mit ihrem schweren Spaten auf den Boden einstach und versuchte, den knorrigen Wurzelstock eines Haselbusches zu zerkleinern, weil er sich nicht im Ganzen heraushebeln ließ.

„Frau Christine! Frau Christine!“ Mit einem zufriedenen Seufzer ließ die Frau das Werkzeug los, richtete sich auf und streckte den Rücken.

„Frau Christine, Ihr solltet das nicht allein machen! Das ist doch viel zu schwer für Euch. Das ist Knechtsarbeit! Warum habt Ihr mich nicht gerufen?“ Ein älterer Mann war herangekommen, mit wettergegerbtem Gesicht und ledrigen Händen. Er überragte die junge Frau um Haupteslänge und sah mit mildem Tadel auf sie herunter: Ein Blinder hätte erkennen können, dass eine so zierliche Gestalt es nicht mit armdicken Wurzeln aufnehmen konnte. Die Frau lächelte zurück und wirkte plötzlich wie ein kleines Mädchen, mit schelmisch blitzenden grauen Augen und Grübchen in den Wangen.

„Frau Christine, wir haben Nachricht von Herrn Frick bekommen. Er ist heute morgen aus Überlingen aufgebrochen und wird zur Vesperzeit hier sein.“ Ein Schatten streifte Christines Gesicht und wischte das Lächeln fort. Sie straffte die Schultern und nickte langsam.

„Es ist gut, Lambert. Ich werde gleich nach Hause kommen.“ Der Knecht zeigte zweifelnd auf den Spaten.

„Soll ich es mal versuchen?“

„Nein, lass nur. Es ist nicht so wichtig. Sieh lieber zu, dass im Stall Ordnung herrscht, wenn der Herr zurückkommt. Du weißt ja, dass er es nicht leiden kann, wenn er schon am Tor über ein altes Zaumzeug stolpert.“ Der Knecht murmelte etwas vor sich hin und stiefelte zurück zur Stadt. Christine wischte den Spaten sauber und verstaute ihn zusammen mit Schaufel und Hacke in dem kleinen Schuppen, den sie hatte bauen lassen, dann wusch sie sich die Hände im Regenfass und öffnete das kleine Törchen. Eine Rose rankte sich daran hoch und duftete zart; Christine konnte nicht widerstehen sich noch einmal darüber zu beugen und den Geruch einzuatmen. Am liebsten hätte sie ein paar Blüten abgeschnitten und mit nach Hause genommen, aber nach kurzem Zögern entschied sie sich dagegen. Frick schätzte es nicht, wenn sie so viel Zeit in ihrem Garten verbrachte, und es war sicherlich besser, ihn nicht noch besonders darauf hinzuweisen. Gerade die Pflege der Blumen hielt er für eine völlig unnütze Tätigkeit: Schmutzige Arbeit, um die eine wohlhabende Kaufmannsfrau wie Christine Köpperlin einen Bogen machen sollte. Schließlich konnte sie alles auf dem städtischen Markt kaufen, was sie in Küche und Keller brauchte. Sorgfältig schloss sie das Tor hinter sich; es gab keine Entschuldigung, noch länger hier zu bleiben, und sie machte sich auf den Rückweg. Kurze Zeit später stand sie vor dem Köpperlinschen Anwesen in der Marktgasse. Sie holte tief Luft und betrat das Haus durch das Hoftor.

„Ich bin wieder da“, rief sie den Mägden in der Küche zu. Sie ließ sich einen Eimer Wasser in die Schlafstube bringen, wusch sich Erde und Schweiß ab und zog sich um. Ihr Gatte schätzte es nicht, wenn sie herumlief wie eine Bäuerin, das wusste sie. Sie klappte ihre Truhe auf und wählte nach kurzer Überlegung ein lindgrünes, bodenlanges Leinenkleid mit spitzem Ausschnitt und halben Ärmeln, die bis zum Ellbogen eng anlagen und sich dann zu angedeuteten Schleppen öffneten, dazu ein schlichtes Untergewand aus mehrfach gebleichtem Leinen, dessen einziger Schmuck in der feinen Fältelung an Handgelenken und Halsausschnitt bestand. Sie bürstete sich das Haar, flocht es zu zwei dicken Zöpfen und steckte es über den Ohren hoch, griff nach dem gekräuselten weißen Schleier und bedeckte es damit, legte sich den gestickten Gürtel um, schlüpfte in die schlichten Alltagsschuhe und betrachtete sich dann prüfend in dem Spiegel, den ihre Eltern ihr zur Hochzeit geschenkt hatten. Eine ehrbare Kaufmannsgattin schaute ihr entgegen, wohlhabend, aber nicht verschwenderisch gekleidet, standesbewusst und sittsam. Die Frau, die Frick Köpperlin gerne sehen wollte. Nur die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken und die feinen Lachfältchen rund um die Augen wollten sich nicht so recht einfügen. Sie nickte sich langsam zu und legte den Spiegel zurück in die Truhe. Und dann blieb nicht viel mehr zu tun als auf die Rückkehr des Hausherrn zu warten und den Brief noch einmal vorzunehmen, den er ihr geschrieben hatte.

„ ... habe ich mich nun entschlossen, Ludwig mit nach Ravensburg zu bringen und in meinem Hause erziehen zu lassen. Ich wünsche, dass du ihn freundlich willkommen heißt und ihm die gleiche Liebe und Achtung entgegenbringst wie einem eigenen Sohn.“

Nein, sie war nicht mehr ganz so fassungslos wie beim ersten Lesen, dachte Christine und wischte sich mit der Hand über die Stirn. Bald zehn Wochen hatte sie jetzt Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Heute sollten sie in Ravensburg eintreffen, und bald würde die ganze Stadt wissen, dass Frick Köpperlin, wohl­habender Kaufmann, Mitglied der Humpisgesellschaft und der Gesellschaft zum Esel, seinen Bastardsohn aus Brugg im Aargau mitgebracht hatte und in seinem Haus zum Geschäfts­nachfolger erziehen ließ, weil seine eigene Frau ihm keine Kinder gebären konnte. Aber vielleicht war es ja genau das, was sie verdient hatte.

 

©Isabell Pfeiffer

 

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